13 Jul '20

Ehrenamt in der Feuerwehr - „Man hat das Helfervirus intus“

Retten, löschen, bergen, schützen: Wenn’s darum geht, Menschen zu helfen, sind sie da – die Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr Lippstadt. 390 ehrenamtliche Retter sind in der Wehr aktiv, dazu kommen 86 hauptamtliche Kräfte. Wehrführer Bernd Peterburs, Unterbrandmeister Antonius Lübbers und Feuerwehrfrau-Anwärterin Nina Hoppe erklären das Virus Feuerwehr.

Antonius Lübbers, 62 Jahre, Unterbrandmeister, Feuerwehrmann seit 44 Jahren.

„Wenn ich groß bin, gehe ich zur Feuerwehr“ – viele Kinder träumen mindestens einmal davon. Bei Unterbrandmeister Antonius Lübbers (62) war’s anders. Er ist 16 Jahre alt, in der Ausbildung bei der Deutschen Post, als sein Onkel Fritz Sprenger, damals Stadtbrandmeister, ihn auf der Geburtstagsfeier seiner Eltern anspricht: „Was machst du eigentlich in deiner Freizeit?“, erinnert sich Lübbers an die Frage des Onkels. „Er sagte: Geh zur Feuerwehr. Mach das mal. Du kannst weiter arbeiten und musst nicht zur Bundeswehr.“ Lübbers zögert nicht: Kurz darauf stellt er sich beim Dienstabend der Löschgruppe Bökenförde vor, tritt in die Feuerwehr ein, absolviert mit 18 Jahren den Grundlehrgang – und ist seit 44 Jahren aktiver Feuerwehrmann. Seine Motivation: „Retten – egal ob Menschen, Tiere oder Gebäude.“ Die Belohnung: ein zufriedenes Gefühl. „Guck mal, da haben wir heute wieder etwas Vernünftiges hingekriegt“, sagt der 62-Jährige – auch wenn es natürlich nicht nur positive Seiten gibt. Über das Erlebte werde heute mehr gesprochen: „Früher gab’s das nicht“, sagt er mit Blick auf Einsatznachbesprechung und psychosoziale Unterstützung für Feuerwehrleute: „Irgendwann holt’s auch die härtesten Hunde ein.“ Überhaupt: Die Kameradschaft in der Feuerwehr sei Gold wert. „Ein Rad greift ins andere.“

An das erste Feuer erinnert sich Antonius Lübbers genau: „Das vergisst man nicht“, sagt er. Melder gab’s noch nicht. „Um 1.30 Uhr ging die Sirene“, weiß der Unterbrandmeister noch. „Nach der Generalversammlung der Löschgruppe war ich gerade im Tiefschlaf. Mein Vater hat mich aus dem Bett gezogen und fallen lassen. Ich merkte, etwas ist anders.“

Seitdem ist Antonius Lübbers zu unzähligen Einsätzen ausgerückt, hat unzählige Stunden seiner Zeit in das Ehrenamt investiert. Welcher Einsatz ist ihm besonders in Erinnerung geblieben? „Der Brand des Schuhhauses Simon“, sagt er wie aus der Pistole geschossen. „Teutonia Lippstadt hatte ein Heimspiel. Wir waren auf dem Heimweg“, erinnert er sich an das Feuer an der Bahnhofstraße im Mai 1979. „Wir sind sofort hin.“ Der Großbrand legt den Zugverkehr lahm. „In einer angrenzenden Gaststätte schwammen anschließend die Flaschen im Löschwasser.“

Auch an einen Stallbrand in Esbeck erinnert er sich noch gut: „In der Gewölbedecke waren Stroh und Heu gelagert.“ Die Wehrleute sind mit Atemschutz und Mistharke im Einsatz. „Die Pumpe war ganz schön am Pfeifen.“

Mit 62 Jahren denkt Antonius Lübbers übrigens längst nicht ans Aufhören: fünf Jahre – bis zum Renteneintrittsalter – darf er noch. „Die möchte ich auch gerne noch machen.“

Nina Hoppe, 18 Jahre, Feuerwehrfrau-Anwärterin, will Feuerwehrfrau werden, seitdem sie 16 Jahre alt ist.

Sie steckt mitten in der Grundausbildung: Nina Hoppe. Bei der Schülerin, die im kommenden Jahr ihr Abitur an der Gesamtschule macht, liegt das Feuerwehr-Gen in der Familie – Vater, Bruder, Onkel, Cousins sind für die Wehr im Einsatz. Und auch der Urgroßvater war Mitglied der Feuerwehr. „Mit 16 Jahren habe auch ich das Interesse an der Feuerwehr entwickelt“, erinnert sie sich. Und das Feuerwehrhaus ist quasi direkt um die Ecke. „Es sind 400 Meter.“

Mittlerweile absolviert Nina Hoppe, die einzige Frau in der Löschgruppe Rebbeke, den Grundlehrgang: 160 Stunden, vier Module. „Die ersten beiden Module habe ich schon absolviert“, sagt sie. Zurzeit pausiert der Lehrgang: Corona. „Ende Juli läuft‘s hoffentlich wieder an“, freut sich die 18-Jährige darauf, dass es endlich weitergeht. „Menschen zu helfen, habe ich schon immer gerne gemacht“, sagt sie. „Mich fasziniert die Kameradschaft, der Austausch, das Zusammensitzen in der Florianstube“, erklärt die Schülerin ihre Motivation. „Man ist nie alleine – wenn man jemanden aus der Feuerwehr trifft, ist man direkt füreinander da.“

Wenn bei Familie Hoppe die Melder gehen, ist auch Nina Hoppe hellwach: „Da poltern alle die Treppe runter“, sagt sie und lacht. „Auch wenn ich noch nicht mit darf – mittlerweile bin ich im Bild, kann mir unterschiedliche Szenarien vorstellen.“

Feuerwehr sei ein „sehr zeit intensives Hobby“. Wie weit will sie auf der Feuerwehr-Karriereleiter nach oben? „Erstmal bin ich ganz offen“, sagt die Schülerin. „Ich weiß auch noch nicht, was ich beruflich machen möchte.“ Gruppenführung? „Ich probiere es mal“, sagt die 18-Jährige. Ihre Löschgruppe habe ihr dafür bereits eine Belohnung versprochen. „Hauptsache es macht Spaß, das ist das Wichtigste“, findet Nina. Am meisten fiebert die junge Frau übrigens mal dem ABC-Lehrgang entgegen: „Dafür braucht man chemisches Verständnis“, sagt sie. „Da freue ich mich drauf.“

Bernd Peterburs, 53 Jahre, Wehrführer, seine Feuerwehr-Karriere begann 1982 in der Jugendfeuerwehr.

„Die Feuerwehr ist eine große Familie“, sagt Bernd Peterburs. 2012 – ganz genau am 18. April – übernahm er das Amt des Wehrführers von Hubert Diederich, vorher war er sein Stellvertreter. Peterburs ist „infiziert“ – „man hat das Helfervirus intus“, sagt er über die Motivation, sich in der Wehr zu engagieren. „Das ist schon bald eine Berufung.“

Der 53-Jährige, der als Tischler beim Baubetriebshof der Gemeinde Langenberg arbeitet, hat in seiner Feuerwehr-Karriere viel erlebt und weiß: „Die Einsätze haben sich verändert. Es gibt heute weniger Brandeinsätze – und sie sind anders“, erklärt der Wehrführer mit Blick auf vorbeugenden Brandschutz. Seit der Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen 1996 habe sich einiges getan. Allerdings: „Es gibt mehr technische Einsätze“, so Peterburs. „Feuerwehrleute sind Mädchen für alles.“

Und noch etwas hat sich geändert. „Es gibt mehr Gewalt gegenüber Einsatzkräften“, berichtet Peterburs von den Erfahrungen der Kameraden. „Viele haben keinen Respekt mehr – gegenüber Einsatzkräften und auch Opfern“, sagt er mit Blick auf Gaffer mit gezückten Handykameras. „Wir brauchen oftmals mehr Personal, um die Opfer abzuschotten, als für die Betroffenen selbst.“ Demnächst bekomme die Lippstädter Wehr eine Sichtschutzwand.

Und welche Eigenschaften sollten Feuerwehrleute mitbringen? „Teamfähigkeit“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. „Das schwächste Glied gibt im Einsatz den Takt vor“, erklärt er. „Falschen Ehrgeiz können wir nicht gebrauchen.“ Vertrauen und Ehrlichkeit – lebenswichtig.

Der Wehrführer wünscht sich mehr Anerkennung für das Ehrenamt: „Immer“, sagt er. „Wir produzieren viel Sicherheit. Aber wir ersparen den Bürgern auch viele Kosten.“ Der Großteil der Feuerwehrleute, die den Brandschutz in der Stadt sicherstellen, tue dies ehrenamtlich, in der Freizeit. Die Mehrheit der Wehrleute könne für den Einsatz die Ehrenamtskarte beantragen. Nur ein Bruchteil bekomme eine Aufwandsentschädigung (richtet sich nach Funktion und Dienstgrad).

„Das Ehrenamt in der freiwilligen Feuerwehr ist in mehrfacher Hinsicht besonders“

Das Ehrenamt in der freiwilligen Feuerwehr ist in mehrfacher Hinsicht besonders. Einmal ist es von besonderer kommunaler Bedeutung: So gibt es aktuell in NRW etwa 82000 freiwillige Feuerwehrmänner und -frauen, bei knapp 14?000 hauptamtlichen Kräften. Sprich: Ohne Freiwillige könnte der Brandschutz vor Ort nur schwerlich sichergestellt werden. Hinzu kommt, dass dieses Ehrenamt ein sehr zeit intensives ist – entgegen dem Trend, dass der durchschnittlich eingesetzte Zeitaufwand von Engagierten eher zurückgeht.

Angefangen mit der Truppmannausbildung bedarf es regelmäßiger Weiterbildung, dazu die unplanbaren Einsätze Tag und Nacht. Apropos Einsätze: Brandopfer, Unfalltote, Gaffer – das Ehrenamt kann auch psychisch belastend sein. Dass es unter diesen Bedingungen nicht selbstverständlich ist, dass Feuerwehren auf ausreichend Freiwillige zurückgreifen können, zeigt das Beispiel Schleswig-Holstein. Hier musste mit Grömitz bereits die vierte Gemeinde Bürger zum Feuerwehrdienst verpflichten, da Freiwillige fehlen. In Nordrhein-Westfalen sieht man derzeit keine Nachwuchsprobleme – trotzdem gibt es Themen, die die Feuerwehr aktuell bewegt: Zum Beispiel nehmen immer mehr Feuerwehren wahr, dass es schwieriger wird, ehrenamtliche Leitungspositionen zu besetzen – ein Grund dafür liegt in der oft nicht einfachen Vereinbarkeit mit Berufs- und Familienleben. Auch ist der Frauenanteil in der Feuerwehr mit rund fünf Prozent in NRW immer noch sehr gering. Ähnlich überschaubar ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Mehr Verständnis wünschen sich Feuerwehrkräfte teilweise von ihren Arbeitgebern und auch von der Bevölkerung.

Eine Bachelorstudentin von mir hat für ihre Abschlussarbeit Interviews mit freiwilligen Feuerwehrkräften aus einer Nachbarkommune von Lippstadt geführt. Einige Interviewte gaben an, sich von Bürgern eher als Dienstleister, weniger als Freiwillige wahrgenommen zu fühlen. Es wäre nicht immer in den Köpfen präsent, dass man für den Einsatz von jetzt auf gleich das eigene Familienleben unterbreche. Andrea Walter

++++ Ehrenamt im Wandel ++++

Sport, Kultur, Politik, Rettungswesen, Klimaschutz: Der freiwillige Einsatz für das Gemeinwohl in der Region ist vielfältig und unersetzlich. In unserer Themenreihe „Das Ehrenamt im Wandel“ schauen wir in diesen Wochen auf unseren Lokalseiten hinter die Kulissen des bürgerschaftlichen Engagements, das sich in den vergangenen Jahren auch im Altkreis Lippstadt merklich verändert hat.

Text und Foto: Der Patriot - Lippstädter Zeitung

Ehrenamt in der Feuerwehr - „Man hat das Helfervirus intus“