01 Mär '12
„Steigt im Zweifel einfach aus“
„Ich werde ihre Gesichter nie vergessen.“ Lange standen die Worte von Willi Helmig von der Polizei in Lippstadt gestern Morgen in der Aula des Städt. Gymnasiums Erwitte im Raum.
Helmig erinnerte sich an den Moment, als er die beiden jungen Menschen, die bei einem schweren Unfall auf der B1 zwischen Erwitte und Eikeloh Ende 2010 ums Leben kamen, auf dem Feld neben ihrem Autowrack liegen sah. Feuerwehr, Rettungsdienst, Notarzt: Sie alle hatten ihr Bestes gegeben, um sie zu retten - vergeblich. „Die beiden Opfer sahen aus, als würden sie schlafen - in Wahrheit waren sie tot“, berichtete Helmig bewegt.
300 Schüler aus dem doppelten Abiturjahrgang und dem Einführungsjahrgang der Oberstufe wurden beim Verkehrssicherheitsprojekt Crashkurs NRW mit der bitteren Realität bei schweren Unfällen konfrontiert - emotional und bewusst sehr intensiv. Neben Helmig schilderten auch Dirk Behrens (Rettungsdienst), Stephan Köchling (Feuerwehr Erwitte), Heike Gösmann (Notfallseelsorge), Werner Bielawa (Polizei) und Manfred Mois, dessen Tochter bei einem Unfall ums Leben kam, ihre ganz persönliche Sicht der Dinge. Moderiert wurde das Präventionsprojekt der Polizei NRW von Günther Quante.
So erfuhren die Schüler, wie emotional belastend es für Einsatzkräfte sowie für Angehörige von Opfern ist, wenn sich ein schwerer Unfall ereignet. Als Beispiel diente dem Crashkurs-Team nichts weniger als die Realität. Dirk Behrens berichtete über den zweistündigen Kampf um das Leben eines 17-Jährigen nach einem Unfall nahe Lohe und über die tiefe Frustration, „als wir den Kampf aufgeben mussten“.
Im Mittelpunkt der Schilderungen stand dann der schwere Unfall auf der B1. Stephan Köchling ging auf seine Gefühle ein. „Im Feuerwehrwagen saßen auch junge, gerade 18-jährige Kameraden mit versteinerten Gesichtern“, erinnerte er sich. Auch die Bergung der Opfer beschrieb er detailliert. „Als ich dann noch einen Kindersitz in einem der Unfallwagen sah, stellten sich bei mir alle Nackenhaare auf.“
Heike Gösmann, die u.a. die schwere Aufgabe hatte, die Angehörigen zu informieren, beschrieb derweil die Stunden, in denen sie versuchte, den Familien Halt zu geben. „Das ist der Moment, in dem das tragische Ereignis ein Gesicht bekommt.“ Auf einige Fotos vom Unfallort, die während der Veranstaltung gezeigt wurden, ging Werner Bielawa ein. Besonders intensiv wirkte ein Bild von der noch übrig gebliebenen Hälfte eines der Fahrzeuge. Bielawa versäumte es auch nicht, von den Hochzeitsplänen der beiden jungen Opfer zu berichten. „Der Verursacher war aber keineswegs unterwegs, um einen Unfall zu provozieren. Er hat die fatale Entscheidung getroffen, zu rasen“, so der Polizist. Schließlich berichtete Manfred Mois von dem erschütternden Moment der Gewissheit, als seine Tochter bei einem Unfall ums Leben gekommen war. „Werft Euer Leben nicht weg - jeder von Euch ist einzigartig!“, rief er den Schülern zu.
Wie schnell Träume zerplatzen können, demonstrierten Werner Bielawa und Günther Quante dann anhand eines Ballons, der mit Zetteln voller Wünsche der Schüler versehen war. Plötzlich ein lauter Knall, dann segelten die Zettel zu Boden - ein Schreckmoment für die jungen Zuhörer, die teils mit Tränen in den Augen die Präsentation verfolgten. Einige von ihnen verließen gar emotional bewegt auf Anraten des Schulleiters Klaus Engler die Aula. So kam der beständige Appell des Crashkurs-Teams ungefiltert beim aufmerksamen Publikum an: „Rasen bringt nichts, nicht einmal einen Zeitgewinn. Ermahnt Raser, langsamer zu fahren und steigt im Zweifel aus!“
Quelle: Der Patriot - Lippstädter Zeitung