09 Aug '18

Kick auf Kosten anderer

Der schwarze Kleinwagen scheint es nicht eilig zu haben. Im Schneckentempo rollt er die Welserstraße entlang. Der Blick des Fahrers wandert suchend hin und her. Als er an den Überresten des abgebrannten Deal-Möbelmarktes ankommt, hält der Fahrer abrupt an. Hinter ihm gehen andere Autos in die Eisen. Einige der Fahrer sind ebenfalls auf der Suche nach dem Ort des Großbrandes.

Es ist der Tag nach dem Inferno und der Katastrophen-Tourismus ist in vollem Gange. Laufend wiederholen sich solche Szenen an der Welserstraße, immer wieder kommt es zu brenzligen Situationen. Autos, die irgendwo mit Blick auf die verkohlten Überreste des Marktes am Straßenrand parken, dann einfach wieder auf die Straße rollen, wo es zu Beinahe-Unfällen kommt. Andere bemerken beim Gaffen nicht, dass der Vordermann nicht mehr weiterfährt: Vollbremsung im letzten Moment.

Für Polizei-Sprecher Frank Meiske ist dies kein Thema. Auf Nachfrage sagt er: „Ob am Tag danach Leute dorthin gekommen sind, um den Brandort anzusehen, weiß ich nicht. Ich kann es mir aber vorstellen.“ Er beschreibt jedoch Situationen vom Brandnachmittag. „Es gab Leute, die versucht haben, durch die Absperrungen zu kommen. Bei uns gilt aber die Devise, dass Personen zuerst zu schützen sind. Einige wollten an ihren Arbeitsplatz. Doch auch da mussten meine Kollegen einen Riegel vorschieben.“ Ob es generell am Tag nach einer Katastrophe vermehrt zu beobachten sei, dass Kastastrophen-Touristen den Unglücksort aufsuchen, wollte Meiske nicht kommentieren.

Eigentlich sind die Neugierigen am Tag danach relativ egal, findet Kreisbrandmeister Thomas Wienecke. „Natürlich nur, wenn keine Gefahr mehr besteht und wir dadurch nicht in unserer Arbeit behindert werden.“ Es sei nicht im Sinne der Sache, eine weitere Gefahrensituation zu verursachen, nur um die eigene Neugierde zu befriedigen.

Ganz anders ist ihm zufolge die Situation während eines laufenden Einsatzes. „Was ich nicht leiden kann ist, wenn Menschen keinen Respekt ihren Mitmenschen gegenüber haben, die zu Schaden gekommen sind. Kein Verständnis habe ich dafür, wenn Menschen aus Neugierde zum Einsatzort eilen. Ich habe es schon erlebt, dass auf der Autobahn jemand zum Einsatzort kam und sagte: ,Jetzt bin ich zwei Kilometer zu Fuß hierher gelaufen, jetzt will ich auch was sehen.‘ Da werden massiv Grenzen überschritten.“

Der Kreisbrandmeister macht auch den Austausch in den Sozialen Medien dafür verantwortlich: „Durch die ganzen Bilder und Informationen verroht alles zusehends, die Empathie geht verloren. Es kann auch sein, dass die vielen Informationen den Katastrophentourismus noch verstärken.“ Generell sei es aber schon immer so gewesen, dass die Menschen in solchen Momenten einem Herdentrieb folgten, den Kick suchten.

Dass sich jeder einzelne dabei in Gefahr bringe, blendeten die meisten allerdings aus. Thomas Wienecke macht es am Großbrand bei Lippstädter Hartschaum vor knapp zwei Wochen fest. „Es war Glück, dass der Flüssiggasbehälter dort keine Probleme bereitet hat. Im schlimmsten Fall hätte es einen Feuerball gegeben – 50 Meter hoch und breit. Das hätte dann auch die Neugierigen in Mitleidenschaft gezogen. Denn sie können sich ja gar nicht so schützen, wie es den Einsatzkräften möglich ist.“

Insgesamt sorge der Katastrophen-Tourismus für erheblichen Frust bei den Einsatzkräften, nehme massiv Einfluss auf deren Arbeit. Umso mehr sei die Polizei beim Deal-Großbrand der Feuerwehr-Bitte nachgekommen, den Bereich um die Einsatzstelle so dicht zu machen, dass möglichst wenige Schaulustige näher ans Geschehen herankamen.

Quelle: Der Patriot - Lippstädter Zeitung