13 Apr '16

Unfallopfer im Blickpunkt

Am 21. April 2016 führt die Polizei erneut einen Blitzmarathon durch.

Um die Hauptunfallursache auf deutschen Straßen in den Köpfen der Autofahrer präsent zu machen, geht es diesmal um die Leidtragenden schwerer Unfälle - die Opfer. Trauer ist eines der schlimmsten Gefühle, die Menschen haben können. An einem Verkehrstoten nehmen im Durchschnitt etwa 100 Menschen Anteil. Mit dem Erlebnis eines tödlichen Verkehrsunfalls müssen jedoch auch Rettungskräfte und Polizeibeamte umgehen können. Die Vorstellung, jemandem zu sagen, dass sein Angehöriger nicht mehr nach Hause kommen wird, ist für die meisten Menschen ein Grauen. Seit Jahren werden Polizeibeamte bei dieser Arbeit durch Notfallseelsorger im Kreis Soest unterstützt.

Notfallseelsorger - Respekt vor Leben

Heike Gösmann, Fachberaterin Psychotraumatologie der Lippstädter Feuerwehr und Mitglied des Crash Kurs Teams der Polizei im Kreis Soest, ist seit 17 Jahren vor Ort, wenn Menschen Opfer schwerer oder tödlicher Verkehrsunfälle werden. Sie kümmert sich als Notfallseelsorgerin um Unfallbeteiligte und die Angehörigen der Opfer und kann auf die Erfahrung von über 450 Einsätzen zurückgreifen. Auch steht sie Einsatzkräften zur Seite, wenn nach belastenden Einsätzen eine psychosoziale Unterstützung sinnvoll erscheint. Eine ehrenamtliche Tätigkeit, die viel Mut erfordert.

Frau Gösmann, wie kam es, dass Sie sich für dieses Ehrenamt entschieden haben?

Wer von jetzt auf gleich mit einem außerordentlich belastenden Ereignis oder gar der schier unerträglichen Nachricht des Verlustes eines geliebten Menschen konfrontiert ist, sollte dies nicht allein aushalten müssen - das ist meine Motivation, mich in der Psychosozialen Notfallversorgung zu engagieren. Ich verstehe darunter eine erste Hilfe für die Seele, aber auch einen Akt der Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe. Betroffene brauchen in dieser Situation Halt und Stabilisierung. Sie brauchen Menschen, die zuhören und Orientierung geben können. Schließlich ist niemand von uns auf eine solche Situation vorbereitet. Dieses Ehrenamt ist anspruchsvoll, aber auch sehr erfüllend.

Was geht Ihnen auf dem Weg zu einem Einsatz durch den Kopf?

Wenn wir hören, dass bei einem schweren Unfall Menschen ums Leben gekommen sind, Kinder beteiligt sind, Angehörige zur Unfallstelle kommen oder wir Todesnachrichten überbringen müssen, dann beschäftigt uns das klarerweise. Wir sind erfahrene Profis, aber auch mitfühlende Menschen. An so mancher Einsatzstelle lassen sich die Anspannung und das Entsetzen in den Gesichtern der Einsatzkräfte ablesen. Da geht mir dann der Wunsch durch den Kopf, dass alle Betroffenen wie auch am Einsatz Beteiligten möglichst gut versorgt werden. Mir ist der Grundsatz einer frühzeitigen Unterstützung und Prävention enorm wichtig: Wie können wir dafür sorgen, dass sich die schlimmen Bilder und Erlebnisse erst gar nicht einbrennen!

Was ist Ihre Aufgabe am Unfallort?

Wir begleiten eintreffende Angehörige, fangen sie auf, versorgen sie mit Informationen und bieten unsere Unterstützung an. Zudem kümmern wir uns um Beteiligte und Augenzeugen, die bei dem Unfall körperlich unverletzt geblieben, aber von dem Ereignis potenziell traumatisiert sind. Auch zählt es zu unseren Aufgaben, dafür zu sorgen, dass Angehörige sich nicht in Gefahr bringen und dass die Arbeit der Rettungskräfte nicht behindert wird. Es kommt auch vor, dass Notfallseelsorger gebeten werden, an der Unfallstelle die Verstorbenen zu segnen und ein gemeinsames Gebet zu sprechen. Unser Angebot der Begleitung richtet sich in erster Linie nach den Bedürfnissen der Betroffenen. So macht es häufig Sinn, gemeinsam mit den Angehörigen zum Krankenhaus oder nach Hause zu fahren, statt noch länger an der Unfallstelle belastenden Eindrücken ausgesetzt zu sein. Zuhause können wir dann in Ruhe ins Gespräch kommen, Empfehlungen aussprechen und das soziale Netzwerk aktivieren. Oft sind Unfallopfer schwer oder sogar tödlich verletzt worden.

Wie überbringen Sie diese Nachricht den Angehörigen?

Da das Überbringen von Todesnachrichten eine hoheitliche Aufgabe ist, geschieht dies immer in Zusammenarbeit mit der Polizei. Bevor wir gemeinsam zu den Angehörigen fahren, stimmen wir uns ab. Wenn wir dann vor der Haustür stehen, ahnen die Betroffenen meist schon, dass etwas Schlimmes passiert ist. Wir hören in diesen Momenten Schreie der Verzweiflung, Wutausbrüche, es fließen viele Tränen, manchmal verstummen die Betroffenen - nichts ist mehr so wie vorher, alle Sicherungsmechanismen sind außer Kraft gesetzt. Damit die Menschen nicht von ihren Gefühlen überwältigt werden, bieten Notfallseelsorger an, was in dieser Akutsituation am dringendsten gebraucht wird: Da sein, stabilisieren, orientieren, zuhören, Halt geben. Diese Begleitungen können bisweilen mehrere Stunden dauern. Denn wir stehen den Familien so lange zur Seite, bis sie wieder ein erstes Gefühl der Stabilität zurückgewinnen. Bei Bedarf vermitteln wir Anlaufstellen und Hilfsangebote, damit die Betroffenen etwas an der Hand haben, wenn wir uns aus der Begleitung verabschieden.

Wir wünschen Ihnen und Ihren Kolleginnen und Kollegen auch weiterhin viel Kraft, Ihre eigenen Erlebnisse bei der Notfallseelsorge zu verarbeiten, und den Mitbürgern in schwierigen Situationen zur Seite zu stehen. Die Polizei appelliert darum an alle Verkehrsteilnehmer: \"Helfen Sie mit, schwere Unfälle zu vermeiden. Haben Sie Respekt vor dem Leben!\"

Quelle: Pressestelle der Kreispolizeibehörde Soest

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